Autobiographisches Fragment
„… ich schrieb schon im vierzehnten Jahre meines Alters meinen Lebenslauf. Die Gelegenheit dazu gab, daß ich, aus Furcht vor einer wohlverdienten Strafe, meinen Eltern entlaufen und nach Münster gegangen war, wo ich hungrig ankam und, weil ich kein Geld mitgenommen hatte, mein Brot vor den Türen erbetteln musste. Ich ging vom Morgen bis zum Abend die Stadt im Kreise herum, wollte immer jemanden um eine Gabe ansprechen und konnte doch kein Wort hervorbringen. Endlich aber öffnete mir der Hunger den Mund, und ein Mann, dem ich stammelnd meine Not eröffnete, gab mir sechs Pfennige und den Rat, geschwind wieder zurück zu meinen Eltern zu gehen. Wie reich war ich nicht mit dieser Summe! ich kaufte mir Brot und ging vor das Tor, was nach meiner Vaterstadt führte. Hier setzte ich mich müde an einen Bach nieder, um zu trinken; und eine Weibsperson, die, wie ich nachher erfuhr, eine Landstreicherin war, ward mein Engel. Ich erzählte ihr meine Not, und weil sie eben den Weg wollte, welchen ich zu gehen hatte, so nahm sie mich mit, brachte mich nachts in eine Bauernscheune und versorgte mich des andern Tages von dem Brote, was sie bettelte; doch lernte ich auch von ihr zum ersten Mal ein Ei in der Asche kochen. Nachdem ich aber vier Meilen mit ihr zurückgelegt hatte, begegnete mir schon mein Lehrmeister, … der mir, sobald er meine Flucht vernommen, zu Fuße nachgeeilt war. Ich mußte also meine getreue Gefährtin verlassen, und dieses geschah ohne Tränen. Meine Eltern waren froh, ihren verlorenen ältesten Sohn wiederzuhaben, und auf Bitten meines Großvaters, des Bürgermeisters Elberfeld, ward mir die Strafe geschenkt. …“
(Der Originaltext wurde behutsam an heutige Sprachgewohnheiten angepasst.)
...doch lernte ich auch von ihr zum ersten Mal ein Ei in der Asche kochen ...
Justus Möser 1734